Attila Szücs


Zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer beweist Ungarn die Lebendigkeit seiner akademischen Tradition gerade darin, daß einige der Künstler der jüngeren und jüngsten Generation die international geführten Diskurse nicht nur angenommen haben, sondern sie mitbestimmen.
Schon machte der Markenbegriff vom "Hungaro Pop" die Runde. Das klingt griffig, aber weist in die falsche Richtung. Denn an gesättigter ungarischer Tradition findet sich in ihren Werken nicht viel. Außerdem hat die ungarische Kunst des 20. Jahrhunderts mindestens drei wichtige Traditionslinien: eine konstruktive, eine malstofflich gesättigte und eine des postmodernen Crossover.
Es sind ganz und gar die westlichen, internationalen Kunstverhältnisse der 90er Jahre und vielmehr die spartenüberschreitenden künstlerischen Produktionen, die Bezugnahmen auf ein anderes Medium innerhalb des eigenen Mediums, die von Belang sind und ihre Prägungen wirksam werden ließen.
Attila Szücs freilich ist, bei allem Traditionsbezug, eine Ausnahmefigur, denn bei ihm gibt es Momente zerebraler Langsamkeit und eines poetischen, ja zum Teil schon surrealen Gegenstandsbezugs, der eine vollkommen eigene Qualität hat.
Attila Szücs (Jahrgang 1967) simuliert Glätte, um mit kühler Distanz die Gelecktheit zu durchbrechen. Sein malerischer Abkühlungssimpuls ist immer mit dem Dahinter verbunden. Es sind frostige Kommentare zur Entlarvung des Zynismus und der Spaßbewaffnung.
Wundervoll leicht und atmosphärisch, dabei geheimnisvoll und z.T. abgründig, kombiniert er Formpartikel des fotografischen Postkarten-Blicks, Elemente von Bewegung und Erscheinungsformen des Traums, der Erinnerung und der Sehnsucht. Von Bild zu Bild treibt der Blick als würde er einer Flaschenpost folgen, die erst nach einem gewissen Unterwegssein, ihre Botschaft preisgibt.
Es geht Attila Szücs demnach nicht nur um Gestaltung, sondern auch um die Formung von Eigenzeit, um eine erfrischende Sinnesorganisation, die nicht nach Mustern des Gefälligen und nicht nach objektiven Bedingungen der frech beworbenen und minutiös getakteten Welt ausgerichtet ist.
Irgendwie kommen uns diese Bilder bekannt vor, man meint Gegenstände und Erscheinungen erlebt und gesehen zu haben und doch entsteht in der von Attila Szücs gewählten Zueinanderstellung etwas Offenstehendes, das die Zusammenhänge des Wiedererkennens in die radikale Autonomie des Bildes umbiegt.
Wir erleben eine Kursivierung, die wie in einem Kamera-Schwenk Stimmungsbrüche verkettet und dann in einen zarten, leisen, melancholischen, aber beileibe nicht ungefährlichen Grundton mündet.

Unsere Gegenwart ist geprägt durch Bilder von, über und für die Realität. Kino, Printmedien, Werbung, Fotografie, Video, computergenerierte Bild- und Raumwirklichkeiten schaffen Tatsachen und definieren Wirklichkeiten. Sie haben schon lange die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit aufgehoben. Wir kennen ihre Manipulationsmöglichkeiten und Tricks. Sie treten mit dem Anspruch eines Wirklichkeitsbezuges auf, der einerseits in den Apparaten der Medien selbst angelegt ist, andererseits in einem Anspruch begründet liegt, daß ein Bild der Wirklichkeit geschaffen werden soll, das ihren Vollzug gestalten möge.
Die Bilder von Attila Szücs setzen an diesem Punkt an.
Sie zeigen mehr oder weniger entzifferbare Gegenstände und spielen mit der Erinnerung an die Geschichte der gemalten Bilder.
Doch Attila Szücs versteht es einen spezifischen subjektiven Akzent zu setzen. Man erkennt sofort, daß er von der Dimension des amerikanischen Abstraktionismus genauso weit entfernt ist wie von der symbolistischen Idylle, vom klassischen Stilleben genauso weit wie vom Bombast des filmischen Hollywoodismus.
Und trotzdem sieht man, auf welche Art und Weise der Künstler die Traditionslinien durchbrochen hat und daß er neben all den ausgetretenen Pfaden seine eigene Schneise geschlagen hat gegen lyrische Schönfärberei und für das Eintauchen in jene Ferne von Zuständen, die uns zwischen die Zeiten gleiten läßt.


Christoph Tannert