I'm not there

I'm not there


I´ m a king in my head, a cripple in the world. (Malcom Middleton)
Die motivische und malerische Gebrochenheit und die Sicht nach innen, unter die Oberfläche des scheinbar Sichtbaren spielt in dieser Schau die Wesensrolle. Die postromantische Utopie der Einheit von äußerer und innerer Realität soll in ihrer Spannung fassbar und im Gelage von An- und Abwesenheit spürbar werden. Die Künstler von I´m Not There deuten konsequent auf ein Sein im Abwesenden. Ihre Figuren ziehen sich ganz bewusst zurück, sind widerstrebend und oft allein, weltabgewandt, geheimnisvoll und suchend. Sie erscheinen fragil, auf sich selbst besinnend und vertrauen vollkommen ihrer Intuition. Denn sie sind stets von einem malerischen Schleier umhüllt, in abstrahierte oder unscharfe, sich auflösende Flächen eingebunden. Die visuelle Vereinigung von Sichtbarem und Vorstellung findet allein in der Sphäre des Malerischen statt und bleibt damit eine treibende Kraft, die in die Latenz verlagert ist. Sie versetzen die Melange aus Wahrnehmung und Vorgängen im Unbewussten in eine dauerhafte, subtile und leise Schwingung. Diesen als existentielles metaphorisches Zwischenstadium zu beschreibenden Zustand spiegelt damit die Eigentlichkeit im Sinne einer offenen Mehrschichtigkeit der Realität wider.

Dementsprechend lässt Attila Szücs seine Protagonisten fast immateriell in der Bildfläche auftreten. Sie wirken auf uns wie Bekannte, aber gleichzeitig entrückt. In der Vermählung mit der wohl temperierten Umgebung kehren sie nahezu unbemerkt ihre suggestiven Kräfte hervor. Die Harmonie aus Farbe und fragiler Form evoziert dabei eine verdichtete Atmosphäre, so dass wir ganz langsam in die Welt der Anwesenden hinabsinken und mit ihnen auch in die leeren Räume vorzudringen vermögen. Wenngleich wir nicht sicher sein können, ob sie wirklich existieren.

Deenesh Ghyczy stellt seine fragmentierten Figuren in einem Moment des freien Fallens dar, als würden sie in ihre eigene Abstraktion hineingleiten, fallen oder auch herausspringen. Mit diesem symbolischen Sprung ins Unbewusste verweist er auf den Augenblick, in dem der Betrachtende - synchron zum Bildgeschehen - imaginär aus fremden, äußeren Welten entfliehen kann. So als befände er sich, wie die Bildfiguren selbst, in einer Art Gelee aus Zeit. Ghyczys Erfassung des Menschen beschränkt sich nicht auf das kurzfristige Sehen, sondern respektiert, dass sich die Wahrnehmung als solche gleichermaßen nach innen richtet auf einen Geist, der sich von der linearen Zeit zu emanzipieren vermag.

Simone Haacks unbetitelte Landschaften zeugen von Unnahbarkeit und subtiler Präsenz. Ihre Figuren wirken abwesend und in sich selbst versunken. Der Blick findet in der immer unschärfer werdenden Landschaft kaum Halt. Auch sie verweist auf das Innenleben des unbeschützten und doch in sich gefassten, beruhigten Menschen. Das Absinken im Gras liest sich wie eine Metapher der Undurchdringlichkeit der Psyche, dessen Pfade sich nur durch die konsequente Besinnung auf das Seelenleben beschreiten lassen.


In den Gipstafeln von Alejandro Rodriguez Gonzalez tritt die beinahe fotorealistisch wiedergegebene Figur in flächig geöffneter, überlagerter Landschaft oder Architektur auf. Ihre mitunter überdeutlichen Gesichtszüge halten die Wahrnehmung momenthaft an und lassen die Blicke alsbald wieder entgleiten. Schwer fassbar, aber im diffusen Geschehen sich behauptend, vermitteln sie eine Zwischenwelt, die von leisen und auch manchmal lauteren Regressionen geprägt ist.

Steffi Stangl nimmt gewissermaßen alle angedeuteten Gemütsverfassungen und Spannungen auf und lässt sie in die Konzeption ihrer tollkühnen Arbeit, Ballerina genannt, einfließen. Ihre Maschine bringt eine Art metaphysische Präsenz zum Vorscheinen. „Die Arbeit thematisiert den Moment der Irritation von Wahrnehmung: Ein tatsächlich kinetisches Objekt erscheint dem Betrachter unbewegt. Über den physikalischen Zusammenhang einer Frequenzsynchronisation entsteht ein gefrorener Moment. Das Raumobjekt selbst markiert die Zone der Illusion. Es enthüllt und hält auf Abstand – und erzählt die bizarre Geschichte des Traums von der Überwindung der Schwerkraft. Der Schnittpunkt von Imagination und Wirklichkeit ist am Objekt fassbar: ein künstlich geschaffener Höhepunkt scheinbar ohne Zeit und Veränderung, die Ausdehnung des fixen Mittelpunktes der rastlosen Rotation.“ (S.S.)

Stangl hat, wie auch alle anderen Künstler dieser Schau, eine wunderbare symbolische Form gefunden, um das Dilemma eines wahrhaften Gehalts von An- und Abwesenheit, der Wahrnehmung und dessen Relevanz im Bewusstsein, zu konkretisieren. Der Betrachter muss allerdings einsehen, dass, sobald er das, was er sieht, für eindeutig hält, diese Erkenntnis ins Spukhafte verlängert wird. Die bleibende Einheit verweilt als Wunsch und findet, ganz im Sinne der gesamten Ausstellung, in nicht fassbaren Gedanken und unübersetzbaren Bildern, also im Abwesenden und Illusionären statt.

Alle Künstler verweisen somit auf eine Distanz zum banalen, systemimmanenten Alltagsleben durch ein Stillstellen des Bewusstseins. Eine Versöhnung mit der Welt kann sich in ihren abgeschotteten Sphären wunderbar entfalten - mit der sympathisch leisen Aufforderung zum Rückzug. So möchte ich Sie einladen, sich den großartigen Arbeiten mit gegebener Ruhe hinzugeben. Denn auf die Kräfte der Intuition sollte man sich, von einem melancholischen Geist beseelt, doch stets verlassen können.

Uwe Goldenstein, Kurator der Ausstellung


Mehr über alle Künstler: http://uwegoldenstein.de
Kontakt: uwegoldenstein@gmail.com